Wir wollen frei sein! 17. Juni 1953 - Volksaufstand in der DDR

Im Gespräch mit Christian Grascha, Mitglied des Niedersächsischen Landtages anlässlich der Ausstellung zum 17. Juni 1953 in Hardegsen
Meinung17.06.2016Christiane Pitschke
RvBS
Volksaufstand in der DDR am 17. Juni im 1953

Am 17. Juni 1953 gingen in der gesamten DDR eine Million Menschen in mehr als 700 Städten und Gemeinden auf die Straße, um gegen die kommunistische Diktatur zu demonstrieren. Was als sozialer Protest begann, entwickelte sich rasch zur politischen Manifestation: Der massenhafte Ruf nach Freiheit, Demokratie und deutscher Einheit ließ die SED-Diktatur de facto kapitulieren. Es waren sowjetische Panzer, die den Aufstand ab dem 17. Juni 1953 alsbald im Keime erstickten. An die einhundert Menschen starben. Erst 36 Jahre nach dem blutigen Beenden des Aufstandes gingen im Herbst 1989 die Forderungen und Wünsche der Demonstranten in Erfüllung, mit der Wiedervereinigung Deutschlands.

Im Gespräch mit Christian Grascha, Mitglied des Niedersächsischen Landtages anlässlich der Ausstellung zum 17. Juni 1953 in Hardegsen. 

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Christian Grascha, Mitglied des Niedersächsischen Landtages

Warum ist es wichtig, dass wir Jahre nach dem Aufstand immer noch an die Aufstände erinnern?

Es ist wichtig, dass wir die Menschen nicht vergessen, die am 17. Juni 1953 für den Kampf um die Freiheit und Demokratie gestorben sind und durch Inhaftierungen ihre Freiheit eingebüßt haben. Die Ausstellung soll auch jungen Menschen zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist, wie heute in einem freien und vereinten Deutschland zu leben. Der 17. Juni muss auch nach der Wende 1989 in unserer Erinnerung einen festen Platz haben. Das Thema sollte deshalb auch intensiv in den Schulen behandelt werden!

Die Aufstände am 17. Juni 1953 haben Hunderten Menschen das Leben gekostet. Jahrelang kämpften immer wieder DDR Bürger für ihre Freiheit.  Warum setzen sie sich gegen das Vergessen ein?

Die Erinnerung wird diesem Tag aus meiner Sicht nicht mehr gerecht. Am 17. Juni 1953 protestierten rund eine Million Menschen weitgehend friedlich gegen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Sie äußerten ihren Unmut über die sozialen Probleme, Bevormundung und Repression. Die SED-Führung war überfordert von den Demonstrationen, die Sowjetunion reagierte mit Härte. Mit massivem Einsatz von Militär, Volkspolizei und Staatssicherheit wurde der Aufstand des 17. Juni blutig niedergeschlagen.

Griff nach der Freiheit - Der Aufstand vom 17 Juni 1953 Doku (2014)

Die Ursachen des Volksaufstands in der DDR gehen auf die II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 zurück. Mit dem Beschluss zum „Aufbau des Sozialismus“ schränkt er nicht nur die Freiheit sondern fast das Überleben der Menschen ein. Konnte  man damals ahnen, welche wichtige Bedeutung der 17. Juni 1953 in der heutigen Geschichte hat?

Während im Teil der Bundesrepublik das "Wirtschaftswunder" begann, leitete die SED mit dem Beschluss eine "Verschärfung des Klassenkampfes" ein. Dies führte zu einer schweren Ernährungskrise, zum Absinken des Lebensstandards und zum Rückgang der industriellen Produktion. Viele Menschen flüchteten.

Insbesondere die Arbeiter sahen sich benachteiligt. Die Menschen forderten bei ihren Demonstrationen nicht nur die Rücknahme der Normenerhöhung, sondern auch freie Wahlen, die Wiedervereinigung, die Ablösung Ulbrichts und Freiheit für alle politischen Gefangenen. Ohne das Eingreifen der Sowjetunion wäre das Regime unter Ulbricht zusammengebrochen und wir hätten vielleicht schon viel früher eine Vereinigung feiern können. Aus meiner Sicht besteht ein Zusammenhang zwischen der Wende 1989 und den Ereignissen 1953. Der Wunsch nach Freiheit und Demokratie, nach politischen und sozialen Änderungen war gleich. Der wichtige Unterschied: es rollten keine Panzer. Allen „Freiheitsbewegungen“ die dem Aufstand 1953 folgten, wie dem Volksaufstand in Ungarn 1956 oder dem Prager Frühling von 1968, wurde durch militärisches Eingreifen ein Ende gesetzt.

Was möchten sie gerade in der heutigen aktuellen Lage den Lesern mitgeben?

Der 17. Juni 1953 gehört zu den wichtigsten Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte. Die Fluchtbewegung in den Folgejahren, der Bau der Mauer, die systematische Verfolgung Regimeuntreuer, die Proteste oder die Friedliche Revolution lassen sich ohne die Aufstände am 17. Juni nicht verstehen. Auch heute beobachten wir anti-demokratische Tendenzen, die sich sogar in der gesamtdeutschen Parteienlandschaft wiederspiegeln. Wir müssen uns gegen den aufkommenden Populismus stark machen. Wir müssen das Bewusstsein schärfen, was Freiheit bedeutet! Auch bei den scheinbar eher unbedeutenden tagespolitischen Fragen, wie aktuell die Vorratsdatenspeicherung oder grundsätzlich Eingriffe des Staates in das tägliche Leben. Freiheit ist ein Gut, für das andere Menschen tagtäglich kämpfen und für das viele ihr Leben ließen.